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Ein Kräuterpfarrer der besonderen Art

Meine Davoser Pflegegrossmutter erweckte in mir einst die Liebe zur Natur und führte mich auf geheimnisvolle Weise in die Welt der Kräuter und Pflanzen ein. Sie selbst stellte Wundheilmittel her, damals vorzugsweise aus Bergarnika. Sie vermochte praktisch jede Wunde zu heilen. Innen wie äusserlich. Innerlich, indem sie stets ein offenes Ohr hatte und immer die richtigen Worte fand. Sie wurde 99 Jahre und 361 Tage alt, denn, so sagte sie, 100 Jahre alt wolle sie nicht werden, denn dann käme die etwas lächerliche Stadtmusik ihretwegen, und dies wollte sie keinesfalls. Und so lebte sie bis kurz vor ihrem 100. Geburtstag in ihrer Wohnung und verstarb mit einem Lächeln im Gesicht. Noch heute träume ich von ihr und manchmal treffen wir uns, tauschen uns aus und sie inspiriert mich immer noch. So auch dieses kleine Kräuterbüchlein, welches sie mir hinterlassen hat. Geschrieben von einem rebellischen Dorfpfarrer namens Johann Künzle (1857 - 1945). Das Büchlein stammt aus dem Jahre 1911 und er schrieb einfach seine Erfahrungen nieder. Natürlich musste er sich schon damals verteidigen, dass er den lieben Ärzten keinesfalls die Arbeit wegnehmen wolle mit seinem Naturwissen. Gerade früher aber, waren die Wege bis zum nächsten Arzte weit und so wusste er das Leiden Mithilfe seines Kräuterwissens zu überbrücken. Neben seinem grossen Wissen aber, fasziniert mich seine Art zu schreiben, zu sprechen. Freischnauze. Und dies damals! Ein grosses lächelndes "Wow" von meiner Seite. Gerne möchte ich hier ein paar Stilblüten niederschreiben. Mich dünkt, dass in seinen Aussagen eine gewisse Ungeduld besteht, oder vielmehr eine gewisse Ohnmacht über einige Menschen, welche wie mit Scheuklappen durchs Leben wandeln und nicht sehen, dass alles da ist. Einst wie heute.

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Kräuterpfarrer Künzle über Schokolade

"Sie nützt besonders Ärzten, welche dadurch eine zahlreiche Kundschaft bekommen. Sie bewirkt Verstopfung. Die Verstopfung ist die Mutter der Hälfte der Krankheiten. Schokoladenkinder werden mit der Zeit alle magenkrank. Wer die Gesundheit der Kinder verderben will, reiche ihnen oft Schokolade; wer sie fördern will, gebe ihnen Früchte aller Art, Nüsse, Feigen, Orangen, Datteln, Äpfel, Birnen. So, jetzt weisst du, was ich von Schokoladeschleckerei halte!"

Über den Fleischkonsum

"Fleisch! Fleisch! Fleisch! Fleisch am Mittag, Fleisch am Abend, ein Würstli zur Vesper, Fleisch, auch wenn es noch so teuer ist; Fleisch, auch wenn's der Metzger kaum mehr auftreiben kann! Fleisch für die Kinder sogar! Fleisch, bis die Parlamente ratlos dastehen und nicht mehr wissen, woher bekommen!"

Über Zementböden

"Hütet euch vor Zementböden! Es ist jetzt Mode, in Küchen, Gängen, Kellern, Waschküchen, Kirchen usw. Böden aus Zementplatten zu legen. Diese Böden sind für 90 Prozent der Personen, die dort stehen und gehen müssen, die Quelle fortgesetzter Leiden in Hals, Zähnen, Kopf, Schluck, verursachen ungeheuer viel Krämpfe, Rheumatismen, Hexenschuss, Ischias. Vom Oktober bis Mai soll man solche Böden nur wischen, nie fegen oder dann zum voraus Arztkosten und Schmerzensgeld verlangen."

Über das Sauberhalten der Wohnung

"Es gibt Frauen, die sich mit dem Putzen nicht genug tun können. Kaum haben sie irgendwo aufgehört, fangen sie anderswo schon wieder zu rumoren an."

Über Habermus, die Nahrung unserer Väter

"Herrje, Habermus, das mag i nöd! Warum nöd? Es schmeckt mer nöd! Aber schmeckt dir das Kopfweh, das Magenreissen, das Aufstossen und ein früher Tod? Schmecken dir die Pillen und Medikamente? Schmeckt dir die Doktorrechnung? An Habermuss gewöhnte Leute sind gesund wie Bulgaren, bei Humor wie der Geissbub, schlafen wie Bären, aber sind nicht bärbeissig oder stechig."

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Die Natur wartet auf uns

Dies nur ein paar lustige Auszüge aus einem seiner wirklich lehrreichen Bücher. Ich bin überrascht, wie tief sein Wissen über die Naturmedizin und die Zusammenhänge war und er damals schon von Dingen sprach, die für uns heute geradezu neu erscheinen. Ich bin überzeugt, dass alles schon da ist, das ganze Wissen und wir es einfach vergessen haben. Vergessen, in dieser schnelllebigen Zeit, in der uns kaum Zeit und Musse bleibt, um uns mit solchen Dingen zu beschäftigen. Es ist alles da. Es wartet auf uns. Wann machen wir uns auf den Weg?


Text und Fotos: Silvia Cristini

Quelle: "Chrut und Unchrut", Jubiläumsausgabe, Pfarrer Künzle